Michaela Paefgen-Laß

Geige Alma Rosé

Weggeweht vom Sturm

Rheingau Musik Festival: Corinna Harfouch über das Leben der Alma Rosé

„Und als alles still war, setzte sie den Bogen an, in Auschwitz.“ Sachlich, wenig Emotion verratend, berichtete am Sonntagabend Schauspielerin Corinna Harfouch in der neuen Synagoge Mainz aus dem Leben der Alma Rosé. „Ein Lächeln weggeweht vom Sturm“, lautete die Konzertlesung, mit der das Rheingau Musik Festival erstmals in der Synagoge gastierte. Unprätentiös näherte sich die Schauspielerin einem Musikerinnenleben, das mitten im musikalischen Hochadel von Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielversprechend begann. Es endete im April 1944 in der Hölle von Auschwitz. Violinistin Latica Honda-Rosenberg und Pianistin Hideyo Harada illustrierten die Stationen im Leben Alma Rosés musikalisch.

Alma wird 1906 als Tochter des Konzertmeisters der Wiener Philharmoniker und Kopf des weltberühmten Rosé-Quartetts Arnold Rosé geboren. Gustav Mahler ist ihr Onkel. Auf die jüdische Abstammung wird in der Familie nicht gegeben. Die kleine Alma übt täglich sechs Stunden auf der Geige. Heiter-fröhliche Salonmusik von Fritz Kreisler gibt die Stimmung der unbeschwerten Wiener Jahre wieder. Virtuos und mit unbändiger Freude spielen Latica Honda-Rosenberg und Hideyo Harada Beethoven und Dvorak. Aus Alma dem Kind wird Alma Rosé der Star. Sie nimmt eine Schallplatte auf. Ihre einzige. Die Originalaufnahme von Bachs Doppelkonzert brennt sich kratzig und geräuschvoll ein. Alma feiert mit den „Wiener Walzermädeln“ europaweite Erfolge. Heiratet Váša Příhoda, einen der besten Violinisten seiner Zeit, und lässt sich bald wieder scheiden. Das Eheleben, so heißt es, sei recht turbulent gewesen. Musik im Inferno

Alma flieht nach dem Anschluss Österreichs mit ihrem Vater vor den Nazis nach London. Ein Konzertauftritt in Amsterdam wird ihr zum Verhängnis. Sie kommt nicht mehr zurück und muss untertauchen. Auf der Flucht nach Frankreich wird sie entdeckt und von den Nazis nach Auschwitz verschleppt. Dort trifft sie am 21. Juni 1943 ein. 

Im „Versuchsblock 10 für medizinische Zwecke“ bittet sie darum, ein letztes Mal Geige spielen zu dürfen. Musik im Inferno von Auschwitz war nicht nur möglich, sie war auf zynische Weise Befehl, Zwangsarbeit und Folter. Sie war auch eine Überlebensstrategie. Maria Mandl, grausame und musikfanatische Aufseherin des Frauenlagers von Auschwitz-Birkenau, überträgt Alma die Leitung des Frauenorchesters. Den Musikerinnen eröffnet sich eine Chance: Musik war die einzige Möglichkeit, nicht den Verstand zu verlieren“, wird Cellistin Anita Lasker-Wallfisch zitiert.

Die sensible, auf Abstand bedachte Haltung Harfouchs zur Protagonistin ihrer Lesung ist eine besondere Stärke des Abends. Alma Rosé habe Nähe nur schwer gestatten können. Dem begegnet die Schauspielerin mit größtmöglicher Achtung. Auch gestattet sie andere Sichtweisen auf das Mädchen- und Frauenorchester. „Hier Walzer zu hören war unerträglich“ ist aus den Erinnerungen der französischen Schriftstellerin Charlotte Delbo zu erfahren. Alma Rosé bleibt in Auschwitz perfektionistisch, diszipliniert und würdevoll. Den Musikerinnen ihres Orchesters rettet sie das Leben. Sie starb in der Nacht vom 4. zum 5. April 1944, vermutlich an einer Lebensmittelvergiftung.

(Allgemeine Zeitung, Juni 2012)

Bild: Österreichische Nationalbibliothek, ÖNB / Geige: Johanna Jordan by unsplash

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