Narrhalla Marsch – Eine Mainzer Geschichte
Fastnacht und Ballett, das passt zusammen wie zwei Kärtchen beim Memoryspiel. Narrhallamarsch und Büttenrede ebenfalls. Undenkbar, das eine ohne das andere.
Was aber hat der Mainzer Narrhallamarsch mit dem romantischen Ballett „Giselle“ zu tun – wenn Letzteres nicht gerade von einer Männertanzgruppe in Tutu verballhornt wird? Banal und doch überraschend: Beide stammen vom gleichen Komponisten. Eigentlich. Denn, Adolphe Adam, der im Paris des beginnenden 19. Jahrhunderts leichte Ballettmusiken und komische Opern wie am Fließband produzierte, hatte sicher nicht die Mainzer Saalfastnacht im Sinn, als er seine Opéra Comique „Le Brasseur de Preston“ um einen hübschen, gefälligen Militärmarsch erweiterte.
Das war 1838, dem Gründungsjahr des Mainzer Carneval-Vereins (MCV). Dem Startschuss der modernen Fastnacht. Die Oper ist längst vergessen. Den Militärmarsch hat MCV-Gründungsmitglied Karl Zulehner, gebürtiger Mainzer und kaiserlich-königlicher Regimentskapellmeister quasi gerettet.
Zulehner war 1844 Karnevalsprinz und brauchte eine Einzugsmusik für seine Auftritte. Vielleicht hat er den „Bauer von Preston“ im Mainzer Theater gesehen. Vielleicht über seinen Onkel, den Mainzer Musikverleger und Notenkopisten Carl Zulehner Zugang zur Partitur gehabt. Vielleicht. Der begeisterte Karnevalist jedenfalls „entlieh“ sich charakteristische Motive vom Original, hatte das Glück, sich nicht allzu sehr um Urheberrechte kümmern zu müssen und arrangierte sie zum „Jocus-Marsch“ um. Markig eingeleitet von Oktavsprung nach unten und Triller auf der dritten Note, war ein Fastnachtstitel geboren, der seither aus Mainz nicht mehr wegzudenken ist.
Auch nicht aus dem Programm von Schott Music. Im Wagner-Saal des Mainzer Stammhauses – hier brachte der Bayreuther Meister 1862 persönlich erste Kostproben aus dem Meistersinger-Libretto zum Vortrag – zeigt Verlagspressereferent Konstantinos Zafiriadis Schmuckstücke aus dem Archiv. Seit 1856 wird der Marsch hier verlegt. Edel und dezent als frühe Einzelausgabe für Klavier. Oder mit bestechend schönem, reich ornamentiertem, farbigen Sonderumschlag. „Mainzer Narrhalla-Marsch für Pianoforte von Zulehner“ ist in aufwendigen Drucklettern zu lesen, ein Datumsstempel aus dem Archiv verweist auf den 1. Februar 1927. Quer durch den historischen Saal grüßt gleichzeitig das digitale Zeitalter: Per Download von der Tochterfirma „notafina.de“ sei der Marsch, neben anderen Mainzer Fastnachtstiteln, für kurzentschlossene Karnevalisten auch in sämtlichen Bläserstimmen sofort verfügbar.
„Die unternehmerischen Zweige unseres Hauses ragen zwar in die ganze Welt. Uns ist aber sehr daran gelegen, die Mainzer Wurzeln zu pflegen“, sagt Verlagsmanagerin Ingrid Allwardt. Hans Werner Henze, Carl Orff und Györgi Ligeti, das sind drei unter zahlreichen modernen Komponisten, die ihre Werke Schott anvertraut haben. „Narrhallamarsch“, „Heile, heile Gänsje“ und „Määnz bleibt Määnz“ werden neben ihnen keineswegs in ein verschämtes Schattendasein gedrängt. Fastnachtslieder haben für Cheflektor Rainer Mohrs einen besonderen Charme: „Es ist mit ihnen wie mit der Liebe. Es gibt fröhliche und melancholische Lieder. Man muss nicht immer auf den Stühlen stehen. Besonders im Melancholischen findet die Liebe zur Heimat ihren Ausdruck“.
So wie in „Heile, heile Gänsje“, mit dem Ernst Neger im zerstörten Mainz der Nachkriegszeit die Menschen zu Tränen rührte. Martin Mundo hatte das Kinderlied bereits 1929 in die Fastnacht gebracht. Am Klavier parodierte darüber Kabarettist Herbert Bonewitz im Stil großer Komponisten in den Sitzungen der Kampagne 1982.
„Diese Kultur muss gepflegt werden“, sagt Mohrs. Zum Beispiel, indem man sich an besondere Kleinodien erinnert. Herbert Bonewitz holte jetzt seine Parodien, die gut 30 Jahre lang in der Schreibtischschublade schlummerten, auf Anregung Mohrs’ wieder hervor. Durchweg einfach zu spielen, ist „Heile Gänsje“ à la Mozart, Bach, Debussy oder Liszt nicht. Für Pianisten aber ein augenzwinkernder musikalischer Spaß. Mit Unterhaltungspotential über die fünfte Jahreszeit hinaus – ganz wie der Narrhallamarsch, ohne den im Stadion die Tore der 05er nur halb so „määnzerisch“ gefeiert würden. (veröffentlicht: Allgemeine Zeitung Mainz, Kultur)