Michaela Paefgen-Laß

Begegnung mit Matt Mulligan

Matt Mullican sitzt auf der Treppe in der Mainzer Kunsthalle und nimmt sich die Zeit, seine Kosmologie zu erklären, ein komplexes System aus Farben, Piktogrammen und Schaubildern. Es geht ihm um Wahrnehmung und Wirklichkeit. Um die Erkenntnis, wie die Welt geordnet ist. Wie die Dinge in ihr zueinander in Verbindung stehen.

Es ist Montag, in vier Tagen, am Donnerstag, wird Mullicans Ausstellung „Books Representing Books“ eröffnet. Mehr Skizzen, Notizbücher, Textbausteine und Bildersammlungen gab es von dem 1951 im kalifornischen Santa Monica geborenen Künstler bislang noch nirgends zu sehen. Er gehört zu den international hochgeachteten Konzeptkünstlern der Gegenwart. „Ein Superstar“, wie Thomas D. Trummer, künstlerischer Leiter der Kunsthalle sagt, „der sich für Mainz sehr viel Zeit nimmt“. Viermal war er in den vergangenen Wochen schon vor Ort.

Tausende von Blätter sind mittlerweile so gereiht worden, wie es die Logik in Mullicans Universum zwingend erfordert. Lose Blätter sind für ihn eine andere Präsentationsform des Buches, auch sie verlangen nach Chronologie. Dazu gehören comichafte Kugelschreiberskizzen auf Rechenblättern, Blätter mit Internetfotografien und riesige Wortfolgen auf Bettlaken gepinselt.

Mullican sitzt auf den Stufen, erklärt seine Kosmologie am Beispiel eines Schlüsselbundes, im Augenwinkel verfolgt er die Aufbauarbeiten um ihn herum. Wie viele, der zuletzt 1995 in der Berliner Nationalgalerie gezeigten Glaskugeln passen wohl in eine Ausstellungsvitrine? Er behält das rege Treiben um ihn herum im Blick. „Twenty? Perfect!“, stellt er mitten im Satz zufrieden fest und erzählt weiter.

Bild: Kunsthalle Mainz

Sein Kosmos ist ein hierarchisch geordnetes Modell vom Gedanklichen zum Gegenständlichen. „Give me your Keys“, sagt er und beschreibt dann so bildhaft, wie er es vor Studierenden in New York, Amsterdam, London, Hamburg und Frankfurt sicher schon unzählige Male getan hat: Ein Schlüsselbund in einer superheißen Atombratpfanne wird zum Nichts. Das ist die unterste Ebene, die der Materialität. Ihre Farbe ist grün. „Gerade eben in Ihrer Handtasche waren die Schlüssel noch real und funktionstüchtig, sie befanden sich in der ungerahmten Welt und die ist blau“. Wird der Schlüssel zum Kunstobjekt, weil die Besitzerin behauptet, es sei der Schlüssel von Elvis Presley gewesen, wandert er als Symbol in die gerahmte, gelbe Welt der Kunst. Sobald darüber gesprochen wird, etwa auf Auktionen, ist die Grenze zu Sprache und Zeichen überschritten. Die Farben sind schwarz und weiß. „Und jetzt sage ich Ihnen, dass ich Schlüssel hasse, dann sind wir oben im roten Bereich des Subjektiven angelangt.“ Mullicans Welt lässt sich so dechiffrieren und er führt hinreißend erklärend und erzählend weiter durch seine Ausstellung.

In der Mitte wartet ein Labyrinth aus beschriebenen Bettlaken. „Das war Er“. „He“, das ist sein Ich unter Hypnose, sein schräges Alter-Ego. „He’s a little bit crazy“, lächelt der Künstler denn auch. Die seit den 1970er Jahren entstandenen Performance-Kunstwerke enthalten Botschaften aus Mullicans Unterbewusstsein. Und das zeigt sich auf eine einfache und plausible Weise bedürfsnissorientiert: Feiertage, Frühstück, Kaffee. Hier geht es um das, was „Er“ mag. „Gibt der Künstler die Kontrolle ab, erscheint sein banales Ich“, sagt Thomas D. Trummer. Ein frühes Hypnose-Werk basiert auf einem Liedtext von Joan Baez. Mullican rezitiert die Strophen noch und verabschiedet sich dann, um aus über 50 mitgebrachten Notizbüchern weitere Seiten für die noch leeren Vitrinen zu wählen. 

(Veröffentlicht: Allgemeine Zeitung Mainz, 19. November 2014)

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Michaela Paefgen-Laß

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